ZIZERLWEIS
Vom Einsickern Österreichs in einen Münchner Geist

16. Dezember 2023


Lange-vor-Weihnachtsmärkte


In Österreich ist man bekanntlich katholisch. Das war sogar mal anders, aber spätestens seit der hier allseits verehrten Maria Theresia ist der Österreicher als solcher katholisch. Wer nicht katholisch sein wollte, wurde damals vertrieben, vom Alten Fritz sehr gerne aufgenommen – und ist über die Zeit zum Preußen degeneriert und fristet sein Dasein im kargen Norddeutschland. Die übrig- und katholisch gebliebenen Österreicher aber können sich noch immer ihres schönen Landes erfreuen und vermittels des Tourismus sehr davon profitieren, dass sich die ganze Welt erfreut am katholischen Österreich und seinen Traditionen. Vor allem im Winter.

Im Winter nämlich hat Österreich zweierlei in Massen zu bieten: Berge zum Skifahren und Weihnachtsmärkte für den besinnlich-kitschigen Rausch. Das mit den Bergen, das stört mich nicht weiter (warum, das ist ein Thema für ein anderes Mal), die Weihnachtsmärkte aber, die sind ein Ärgernis! Ich gebe zu, es ist vor allem ein Weihnachtsmarkt ein Ärgernis für mich, weil er direkt nebenan stattfindet und mich damit täglich stört. Aber heutzutage ist es nun mal üblich, aus dem einen Fall, der einen selbst betrifft, eine allgemeine Anklage zu kreieren, anderes wird gar nicht mehr ernst genommen – und also mache ich das auch so: alle Weihnachtsmärkte in ganz Österreich sind ein Ärgernis, weil mich einer stört!Rathausplatz

Der bekannteste aller Wiener Weihnachtsmärkte ist wahrscheinlich jener am Rathaus – der ist groß, der ist klischeehaft österreichisch und der hat einen Herzerlbaum (siehe Foto). Und ja, der stört mich sogar auch. Auf dem Weg von meiner Wohnung zu meinem Fitnesscenter nämlich da wäre ich viel schneller, sicher zwei bis vier Minuten, gäbe es diesen Markt nicht, könnte ich einfach über den Rathausplatz gehen. Aber dem Weihnachtsmarkt am Rathausplatz muss ich zugestehen, dass er nicht mehr stört als all die anderen Veranstaltungen dort. Der Rathausplatz ist eigentlich groß und leer und bietet einen fantastischen Blick auf eben das Rathaus; nur ist er uneigentlich mindestens 300 Tage des Jahres für Veranstaltungen oder für Aufbauarbeiten vor Veranstaltungen oder für Abbauarbeiten nach Veranstaltungen gesperrt. Es ist also faktisch Normalzustand, dass ich meinen Umweg von zwei bis vier Minuten hinter dem Rathaus herum gehen muss, wenn ich zu meinem Fitness-Studio will.

Obwohl er mich nicht sonderlich stört – also nicht mehr als alle anderen 100 Veranstaltungen auf dem Rathausplatz – ist dieser Weihnachtsmarkt ein Paradebeispiel für das Problem der Weihnachtsmärkte im Generellen: Er ist mitten in der Innenstadt. Er ist, weil mitten in Wien, voll mit Touristen. Er ist, weil eben ein österreichischer Weihnachtsmarkt, der Touristen anzieht, voll mit kitschigen, „weihnachtlichen“ Produkten und überteuertem, viel zu süßem Alkohol. Er ist ein Himmel für die Besucher und eine Hölle für die Anwohner.
Spittelberg
Das ist jeder Weihnachtsmarkt. Deshalb wurden diese Märkte auch im 19. Jahrhundert aus den Innenstädten verbannt, damit sie die Anwohner, also die eher reichen, sehr bürgerlichen Menschen in den Innenstädten nicht mehr nerven. Im 20. Jahrhundert aber gab es eine sich antikapitalistisch gebende Bewegung, die hat die Weihnachtsmärkte wieder in die Innenstädte geholt. Wegen der deutschen Tradition dahinter, weil es eine billige Möglichkeit war, den armen Massen Vergnügen zu bereiten, ohne wirklich etwas an deren Lage verbessern zu müssen.
Spittelberg
Man ahnt es, wir verdanken, wie so vieles andere mal mehr, mal weniger Problematische, auch die innenstädtischen Weihnachtsmärkte den Nazis! In Deutschland wie auch in Österreich. Die katholischen Österreicher haben, weil Katholiken, in der Regel eine eher pragmatische Haltung zur Religion pflegen und deshalb auch was haben wollen von ihr, nur noch eine besonders gemeine Sache dazu erfunden: Statt wie in Deutschland die Weihnachtsmärkte nur im Dezember abzuhalten, lassen sie hier die Folter noch gut zwei Wochen länger zu, hier starten die Weihnachtsmärkte immer schon Mitte November.

Die Nazis sind also schuld daran, dass ich für den Wocheneinkauf und für die Werkstoffentsorgung durch eine unüberwindliche Menschenmasse muss, weil ich für beides den absolut unnötigen, aber leider sehr beliebten Weihnachtsmarkt am Spittelberg zu überwinden habe. Die Nazis sind schuld, dass ich auf dem Weg zur U-Bahn von hunderten depperten Menschen aufgehalten werde, die sich anstellen, am Spittelberg überteuerten Punsch zu trinken. Die Nazis sind originär schuld – aber der österreichische Handel und mit ihm wahrscheinlich die WKO und die ÖVP und wer da noch so alles gar nicht genug am Konsum verdienen wollen kann, die sind schuld daran, dass das alles hier mich unerträgliche zwei Wochen länger quält als in der alten Heimat. Und selbst die aktuell – und inzwischen eigentlich auch schon sehr lange – im Bezirk regierenden Grünen tun nicht genug dagegen. Verbieten sollte man das nämlich. Die Nazis sind schuld – und die österreichische Volkswirtschaft profitiert gerne davon. Auch das ist hier irgendwie Traditionspflege.