ZIZERLWEIS
Vom Einsickern Österreichs in einen Münchner Geist

9. Mai 2022


Der Mist, die Stadt und der Schlot


In Wien, da gibt es Mistplätze. Das ist jetzt erst einmal nicht verwunderlich, denn „Mistplätze“ dürfte es in jeder größeren Stadt geben: München zum Beispiel hält dazu die recht berühmte Münchner Freiheit bereit, die als Platz einfach nur Mist, weil im wesentlichen eine vielspurige Straße ist. Solche Plätze hat Wien auch – der Matzleinsdorfer Platz ist ein ausgezeichnetes Exemplar dieser Sorte –, aber ein Mistplatz, wie es die MA 48 meint, das nennt sich im Amtsdeutschen: Wertstoffhof. Was also dem Deutschen der Wertstoff, das ist dem Österreicher der Mist…

Bevor ich nun weiter auf den Mist der Stadt eingehe, braucht es wahrscheinlich einen kurzen Exkurs für die deutschen Leser. Denn ziemlich sicher hat keiner von ihnen verstanden, was mit MA 48 gemeint ist. Mistkübel
In 15 österreichischen Städten (in den größeren und wichtigeren, die Statutarstädte genannt werden – Bregenz ist interessanterweise nicht dabei) kümmern sich sogenannte „Magistrate" um alle Angelegenheiten ihrer Bürger. Den größten Magistrat hat natürlich Wien, das ja als einstige Hauptstadt des k.u.k-Reichs im nunmehr nur noch sehr kleinen Österreich eh so ein bisschen ein Habsburger Wasserkopf ist. (Es sei hier kurz erwähnt, dass Wien in der ersten Republik gerade von seinen Verächtern gerne als solcher bezeichnet wurde – ich mag die Stadt, aber ganz falsch ist das mit dem Wasserkopf halt nicht.)
Über 50 Magistratsabteilungen – kurz MA genannt – hat Wien zu bieten, eine erschöpfende Liste aller MA und ihrer jeweiligen Aufgaben gibt es hier. Einige Nummern sind ausgelassen, weil die Abteilungen dahinter aufgelassen wurden, einige wurden umbenannt, einige zusammengelegt. Sehr hübsch finde ich dabei, dass es die MA 1 („Allgemeine Personalangelegenheiten“) nicht mehr gibt, dafür aber jetzt die Liste angeführt wird von der MA 01 – Wien Digital. Die bekannteste MA von allen dürfte eben die MA 48 sein, zuständig für den Mist und seine Entsorgung. Sie ist bekannt, weil der Mist natürlich allgegenwärtig ist, sie ist aber auch bekannt, weil sie gute Werbung macht – und weil sie selbst allgegenwärtig ist.

Und wirklich: Allgegenwärtig ist die fleißige MA 48. In Wien kann man keine 100 Meter auf der Straße zurücklegen, ohne auf einen ihrer Mistkübel zu stoßen. „Mistkübel“ ist übrigens das österreichische, aber auch das südostbayerische Wort für Mülleimer – das nur am Rande, den, sofern es sich um einen Wiener Straßenrand handelt, eben Legionen an Mistkübeln zieren. Es gibt dabei im Wesentlichen zwei Designs der Kübel, ein mir sehr sympathisches, weil besonderes, ein eher gewöhnliches und deshalb weniger sympathisches:Spittelau
Der sympathische, typisch wienerische Mistkübel ist in der Grundfläche oval, an der Oberseite nach außen gewölbt und mit einem Schornstein an der rechten Seite ausgestattet, der für die Tschick-Beseitigung zuständig ist. Und er hängt. Er hängt an Laternenpfählen, er hängt an den Pfosten diverser Schilder. Er hängt da so ab und sein großes Maul auf Brusthöhe durchschnittlicher Menschen wartet auf Fütterung.
Der weniger sympathische ist zylindrisch, steht auf dem Boden (er ist häufiger in Fußgängerzonen und verkehrsberuhigten Straßen anzutreffen), sein Maul ist auf Hüfthöhe, die Tschick werden auf der abgeschrägten Oberseite entsorgt. Ähnliches gibt es in vielen Städten, an ihm ist echt nichts besonderes.

Beide Arten aber kann ein jeder reichlich füttern, auch wenn es bei der ersten, finde zumindest ich, viel mehr Spaß macht – und nebenbei auch noch den Rücken schont. Und beide Arten werden von der fleißigen MA 48 sehr oft – mir scheint: fast täglich – geleert. Das ist einerseits sehr schön für das Stadtbild, welches dadurch sauberer ist als das Münchner (von Berlin schweigen wir hier aus Gründen). Das ist aber auch sehr wohlig für etliche Wiener – und, in diesen Tagen muss man das betonen, schlecht für Putin.Tschick
In Wien nämlich gibt es Fernwärme. Diese Fernwärme entsteht aus Verbrennung. Dafür gibt es drei Verbrennungsanlagen, von denen die wienerischste die Anlage in der Spittelau ist. Denn sie ist in ihrem Äußeren gestaltet von einem der vielen österreichischen Künstler, von Herrn Friedensreich Hundertwasser. Damit hat sie, wie zum Beispiel auch die Stadtbahn, die große Ehre, als reiner Zweckbau konzipiert, aber als Kunstwerk ausgeführt worden zu sein – derlei betreibt man hier öfter, die Funktion soll in Österreich gerne durch die Form überdeckt sein. Was aber verbrennen die Wiener da, um es warm zu haben? Ihren Mist. Wenn es nun jedoch nicht genug Mist gibt, ihn zu verbrennen und Wärme für dann doch 60.000 Haushalte zu liefern? Dann muss man Erdgas zusetzen und verbrennen.
Deshalb ist einer der bekanntesten Slogans der MA 48 dann doch eigentlich falsch: Bau keinen Mist. Doch! Baut Mist! Aber: Tragt ihn hin in einen der unzähligen Mistkübel. Werft den Tschick nicht auf die Straße, was hier trotz der vielen Mistkübel nicht gerade selten passiert und das Grundwasser belastet und die armen Hunde vergiften könnte und die Straßen unansehnlich werden lässt und …, sondern in den Mistkübel, der eh nur ein paar Meter weit weg ist (wer bis jetzt nicht gegoogelt oder schon gewusst hat, was ein Tschick ist: Der Zigarettenstummel oder auch die ganze Zigarette). Und erfreut, wenn schon nicht euch selbst, die Stadt und den Schlot am Mist, den ihr so baut. Und denkt dabei daran: Der Mist, der ist Wertstoff.